Projekterfolg steht und fällt mit Anforderungen – das ist
bekannt. Aber ist das wirklich so schwierig? Eigentlich liest man doch dauernd
über Requirements Engineering, zum Beispiel
Best Practices zur Formulierung von Anforderungen finden Sie
hier.
Ein paar Anforderungen zu sammeln, ist eigentlich einfach:
viele Unternehmen verwenden Excel, einige hingegen spezielle Software wie
Doors
oder
andere.
Auch Ticketsysteme wie Jira werden gerne als Anforderungsverwaltung eingesetzt.
Und die Verwaltung?
Mit welchem Tool
verwalten Sie als Projektleiter die wachsende Liste? Word? Excel? Wiki-Systeme
wie Confluence? Ticket-Systeme wie Jira? Viele Unternehmen nutzen Excel – ist
sowieso vorhanden, mittlerweile mengentauglich und jeder kennt es. Und der ein
oder andere kann sogar Makros programmieren – ganz ohne IT-Abteilung!
Schnell geht mit der wachsenden Anforderungsflut die
Übersicht verloren, aber halt, in Excel nutzen Sie doch einfach Auto-Filter,
Pivot-Tabellen und Gruppierungen! Jetzt müssen Sie noch kurz das Feedback der
Stakeholder einholen, also Datei versenden und hoffen, dass die alle nur ins
vorgesehene Feld schreiben.
Dummerweise geht das mehrfach so, weil eine Antwort
mitunter weitere Fragen hervorruft. Und Stakeholder gibt es mehr, als Sie
dachten. Die fangen an, Antworten und Kommentare mit individuellen Farben zu
markieren, weil man so einfacher auf einen Blick den Zusammenhang sieht. Oft
trifft man zudem auf die Kombination aus Excel zum Filtern und Sortieren und
Word zur textuellen Beschreibung.
Haben Sie das schon mal erlebt? Nach meiner Beobachtung
erstellen vor allem Techniker und Ingenieure mit Vorliebe Funktionslisten:
Benutzerregistrierung, Anmeldevorgang, Suchfunktion, Neuanlage von
Geschäftsobjekten Typ A, Neuanlage von Geschäftsobjekten Typ B, ...
Hilft das den Stakeholdern, wenn sie die Anforderungen
prüfen und freigeben sollen? Ich erinnere mich an ein Projekt, in dem die
Stakeholder sich nach einigen Runden außer Stande sahen, die Beschreibungen
jeweils zu prüfen und freizugeben. Wie beherrschen Sie die Komplexität? Noch
mehr Makros und Filter?
Hier hilft Ihnen nur Struktur: vom Groben zum Detail, auf jeder
Ebene Übersicht schaffen!
Welche Strukturierung passt zu Ihrer
Anwendungsdomäne? Eine generelle Antwort ist schwierig: "Embedded Software"
im Anlagenbau unterscheidet sich deutlich von Online Transactional Processing
(OLTP), also Verwaltungssoftware, in Unternehmen.
Meine Domäne sind
OLTP-Systeme, bei denen immer – und wirklich immer – folgende Struktur schnell
Nutzen schafft:
Strukturen
Geschäftsprozesse
Womit erwirtschaftet das Unternehmen
Gewinn? Oft sind durch Betriebsorganisation oder ähnliche Stakeholder Prozesse
schon dokumentiert. Zudem kann man schnell in wertschöpfende Kernprozesse und
unterstützende Prozesse unterscheiden. Meist erhält man eine Folge von
Prozessbereichen, die auch zeitlich darstellbar sind. Beispiele:
- Produktentwicklung in einem Versicherungsunternehmen: stellt
oft den ersten Schritt im Lebenszyklus eines Produktes dar, inklusive
Ideenfindung, Berechnungen, Dokumentation, etc.
- Marketing des entwickelten Produktes ist der nächste
Schritt: das Unternehmen bewirbt das Produkt
- Vertrieb fokussiert sich auf die Ansprache einzelner Kunden:
denen muss man natürlich den Produktpreis individuell benennen können
- Abschluss folgt dem Vertrieb, in der Versicherungsdomäne ein
sehr wichtiger Prozessbereich mit vielen einzelnen Prozessen
Use Cases – Anwendungsfälle
Wer macht was mit dem System?
Hier beschreiben Sie die Prozessanteile, die mit dem zu entwickelnden System
umgesetzt werden. Dabei führen „Akteure“ die Schritte des Use Cases aus. Ein
Use Case stellt einen abgeschlossenen Bearbeitungsschritt dar – und kann auch
von einem externen Systeme als Akteur ausgeführt werden (Beispiel unten).
User Stories: hier wird’s agil...
Man kann einen Use Case
meist gut zerlegen in kleinere Teile (Login, Suchen, Ergebnisse sortieren). Das
hilft bei agilen, kurzen Sprints: das Team kann die Story auch wirklich in der
Zeit umsetzen, der gesamte Use Case kann in mehreren Sprints entstehen
(Beispiel unten).
Nichtfunktionale Anforderungen
Gerne vergessen und immer
ein Kostenfaktor: wie schnell soll eigentlich das System jeweils reagieren? Und
wie viele Datensätze verarbeiten Sie denn so? Es macht ja doch einen
Unterschied, ob man das System für 10.000 oder 10 Millionen Datensätze pro
Stunde entwirft.
Beispiele
Use Cases – ganz grob
- Akteur Sachbearbeiter
- Antrag erfassen: Unbearbeiteten Antrag wählen, gescannten
Papierantrag anzeigen, automatisch erfasste
Daten sichtprüfen, fehlende und falsche Daten nachtragen, Antrag prüfen und freigeben.
- Akteur Zeitsteuerung
- Antragsprüfung einmal pro Tag starten: freigegebene Anträge
für die Prüfung finden, jeden Antrag maschinell prüfen, Ablehnung oder Bestätigung
veranlassen.
- Akteur externes System, hier Data Warehouse (DWH)
- Daten neuer Anträge exportieren an das DWH: pro Sparte Daten
selektieren und verdichten, Ergebnisse exportieren, erfolgreichen Lauf
vermerken.
User Stories (Beispiel Antrag erfassen)
- Als Sachbearbeiter wähle ich einen gescannten und
automatisch erkannten, aber noch nicht bearbeiteten Antrag aus, um ihn zu
bearbeiten und dadurch einen Vertragsabschluss vorzubereiten.
- Als Sachbearbeiter lasse ich mir den gescannten
Papiereintrag anzeigen, um die automatisch erkannten Einträge zu prüfen und
gegebenenfalls zu korrigieren.
- Als Sachbearbeiter vergleiche ich automatisch erkannte
Feldinhalte mit dem Scan-Bild und korrigiere Fehler.
- Als Sachbearbeiter starte ich die automatische Prüfung und
gebe den Antrag frei, wenn keine Probleme erkannt wurden, um den
Vertragsabschluss zu ermöglichen.
- Als Sachbearbeiter starte ich die automatische Prüfung und
setze den Antrag auf Wiedervorlage bei Problemen. Hiermit werden fehlerhafte
Anträge nachbearbeitet.
Das wirkt auf den Leser nüchtern und langweilig? Mag sein, die Einfachheit der User
Stories erlaubt aber eine Bearbeitung z.B. in einem Sprint und vermeidet
Mehrdeutigkeiten. Denken Sie daran: was Sie nicht reinschreiben, wird
spätestens dann vom Entwickler interpretiert.
Die oben gezeigte Struktur hilft bei der Verwaltung von
Anforderungen, sowohl in traditionellen als auch in agilen Projekten! Probieren
Sie es aus – und finden Sie Ihre eigene, perfekte Struktur!
Viele große Projekte versuchen zudem, sehr feine Anforderungen zu verwalten, um
Nachvollziehbarkeit zu erreichen. Dies ist jedoch eine ganz andere, längliche
Geschichte...