Vor kurzer Zeit las ich einen Eintrag in einem Business
Social Network in einer Gruppe zum Projektmanagement. Dort verwiesen die
Autorinnen auf einen Blogeintrag ihrer Firma zum Thema „Klassische vs. Agile
Planung und der dritte Weg“.
Der recht kurze Text gab die Annahme wieder, dass in
klassischen Wasserfall-Projekten viel und in neumodischen, agilen Projekten
wenig geplant werde, um dann eine Synthese als zusammengesetztem Weg
vorzuschlagen. Die Kommentare priesen die Idee – und ich fühlte mich gemüßigt,
einen Kommentar zu hinterlassen. Der Kommentar ist nicht mehr online – dafür
hat man weitere Kommentare aus dem besagten Netzwerk hineinkopiert. Warum nur?
Ach ja: Ich lobte die Idee der Kombination aus „best of“ –
musste aber mitteilen, dass ich die Grundannahme nicht teile. Denn: in agilen
Projekten wird deutlich mehr geplant als in klassischen. Dazu gleich mehr.
Warum die Autorinnen den Kommentar gelöscht haben? Das Ganze
ist eine Hurra-wir-sind-toll-Werbeseite. Wobei ich wirklich – ohne Flachs –
verstehen kann, wenn man als Freelancer oder 2-Mann-Bude auf sich aufmerksam
machen muss. Aber warum man keine Diskussion zulässt, sondern nur simuliert? In
Zeiten von Open Source und Communities wie www.openpm.info?
(Da ich niemanden „trollen“ will, habe ich das Thema leicht
verfremdet und verlinke hier nicht auf den Blog.)
Aber schauen wir uns mal die Grundannahme an: „in
Wasserfall-Projekten wird mehr geplant als in agilen Projekten“. Wir haben also
eine Art Skala zwischen zwei Extremen:
Wasserfall
Oft zitiert und keiner hat den Artikel ganz zu
Ende gelesen. Der gute Mann hatte nämlich nicht gemeint, dass ein
Wasserfall-Vorgehen toll ist, sondern dass dies nicht funktioniert und man
Rückwege bzw. Zyklen einbauen muss. Leider ist der Name zum Synonym für ein
Vorgehen geworden, in dem das Projektleiter-Genie alles vorgibt.
Wenn das PL-Genie also alleine in John-Wayne-Manier unser
Projekt X plant, dann braucht es z.B. einen ganzen Mann-Monat, also 20 PT. Dann
läuft das Projekt und der PL passt die Planung alle paar Meilensteine an. Macht
für ein Jahr Laufzeit vielleicht noch mal 3 PT pro Quartal, also 12 PT, in
Summe 32 PT.
Experten einbinden
Frei nach dem
PMBoK (das aber keine Methodik vorgibt!!!). Also: zwei Mann-Monate, dabei
können sich die Leute ja abwechseln, sagen wir 40 PT. In der Laufzeit die
gleiche Anpassung, aber mit Hilfe, sagen wir mal 24 PT, in Summe 64
PT.
Scrum!
Hier plant das Team – zu Beginn
eines jeden Sprints. Bei 5 Teammitgliedern plus Product Owner für die
Gesamt-Planung und stressigen 2 Wochen Sprint-Dauer über 13 Monate im direkten
Vergleich (oben hatten wir ja einen Monat Planung vorab):
6 Personen * 4h pro Sprint Planning * 13 Monate * 2 Sprints
im Monat: 78 PT
Dabei habe ich Backlog Grooming und zusätzliche Planning
Poker Sessions noch gar nicht berücksichtigt!
Erkenntnis
Agil verursacht MEHR Aufwand für Planung – kein Wunder, es wird
häufiger geplant und von einer größeren Anzahl von Personen! Für Scrum-Teams
sind die häufigen Besprechungen sogar erfahrungsgemäß oft nervig – aber
unabdingbar: sonst plant ja keiner.
Leider ist es oft so, dass agil als Ausrede für „Arbeiten
auf Zuruf“ dient. Oder als Projektionsfläche für andere, gerade genehme
Vorgehensweisen. Das bringt Agilität in Verruf, weil viele nie verstanden
haben, dass man zwar im Rennwagen im zweiten Gang schon sehr schnell fährt –
dass man aber nur in den höheren Gängen das Rennen gewinnen wird.
Der "agile Verlierer"
Etwas anderes viel mir in den Kommentaren auf, auch in
anderen Foren:
Es finden sich immer „gestandene“ Projektmanager, die agile
Ansätze zynisch kommentieren oder sich echauffieren. Ich sehe sie mittlerweile
als „agile Verlierer“ – genau wie Senioren, die kein Online-Ticket erstellen
können.
Der typische agile Verlierer war früher der „Bestimmer“: sein Projekt – sein Plan
– sein Erfolg. Das ist alles weg, nur Unsicherheit ist geblieben. Und Unbehagen
– wird man noch gebraucht? Ist man schon alt? Veraltet? Vielleicht ist genau
dies die Klientel der o.g. Anbieter – wer weiß?
Ich gebe zu, ich habe Scrum anfangs sehr abgelehnt – und stehe
der Methode noch immer skeptisch gegenüber. Aber ich bin nun Professional Scrum
Master und habe nach langer Zeit verstanden, wie Scrum funktioniert. Und das
ist nicht leicht umzusetzen. Aber es hat mir viele, viele Best Practices
geliefert. Die wichtigste davon heißt: Erkenntnis – an der Wirklichkeit. Ein
guter Rat auch für Werbe-Blogger, übrigens.
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