Samstag, 31. März 2012

In der Höhle des Löwen


Ihr Projekt ist schon anstrengend genug, dann finden Sie heraus, dass Sie 15 PT mehr brauchen, weil die Fachabteilung die Masken mehrfach geändert haben wollte; naja, vielleicht wäre es auch besser gewesen, den Absolventen nicht gleich alleine daran arbeiten zu lassen, aber erfahrene Leute wachsen nicht auf Bäumen. Woher bekommen Sie jetzt den Mehraufwand? Im Festpreis ganz klar vom Kunden. Oder? Haben Sie mal wieder ein „de-facto-Festpreis“, wie Ihr Vertriebler erklärt? Also, auf zum Kunden und mal Tacheles reden!

Vor einigen Jahren traf ich als Projektleiter in einem für den Kunden und meine Firma ambitionierten, wichtigen Projekt nach dem Initialisierungsstress auch schon auf die ersten Hindernisse: die zugeteilten Kundenmitarbeiter konnten ihre Mitwirkungsleistungen nicht erbringen wie geplant. Wir malten uns also Verzögerungen und Streit aus – obwohl wir noch ziemlich am Anfang des Projektes waren. Beide Seiten waren nervös wegen der möglichen Risiken und des ungeheuren Drucks. Ich veranlasste also ein Eskalationsgespräch. Da saßen wir nun vor dem Sponsor, ein älterer, sehr erfahrener Manager, der uns musterte. Wir hatten schön aufgelistet, was wer nicht getan hatte und wohin das führen könnte. Ich glaube, innerlich hat der Sponsor sich halb totgelacht. Äußerlich hat er uns – beide Seiten, auch seine eigenen Kollegen – mit ruhiger, aber sehr klarer Ansage zur Ordnung gerufen: Wir sollten mal die Kirche im Dorf lassen. Wir fühlten uns alle wie ertappte Schulkinder. Und kamen danach wieder sehr gut miteinander aus, ohne dass eine Lösung mit echten Aktivitäten überhaupt nötig war.

Niemand überbringt gerne schlechte Nachrichten – falls doch, sollten Sie mal über Ihre Berufswahl nachdenken. Als Projektleiter gehört ernsthafte Kommunikation nun mal zu Ihren Aufgaben, was können Sie tun?

Die Vorbereitung ist natürlich entscheidend: rennen Sie nicht einfach ins Messer, vor allem, wenn Ihnen Manager gegenübersitzen, die deutlich mehr Erfahrung haben oder rhetorisch geschickter sind als Sie!


Klären Sie vorab wichtige Punkte!


Welche vertraglichen Regelungen sind vorhanden? 

Haben Sie die geklärt?
Oft erwarten Kunden über den Vertragstext hinaus eine Gesamt-Problem-Lösung: Stellen Sie sich vor, in der Werkstatt sagt man Ihnen nach der Reparatur: „Tja, dass wir die Ölablassschraube nicht wieder reinbekommen, ist halt Ihr Problem“. Oft sehen Kunden das genauso – zumal sie mit der Technik nicht immer Erfahrungen haben. Unter „Web-Server im Internet einrichten“ versteht der normale Kunde auch, dass die Installation hinreichend gesichert sein muss. Natürlich sollten Ihnen solche unterschiedlichen Sichtweisen schon früher bewusst sein – spätestens jetzt müssen Sie die erkennen können!

Was wollen Sie erreichen?

Geht es um 15 PT Budget-Erhöhung? Was ist Ihr Minimal-Ziel? Welchen Anteil sind Sie / Ihre Firma bereit zu übernehmen?
Wichtig: Bereiten Sie eine Win-Win-Situation vor, in der möglichst noch alle ihr Gesicht bewahren können. Ein Kundenmitarbeiter, den Sie im Beisein seines Managers vorführen, wird wohl so schnell nicht Ihr bester Freund werden! Gute Manager werden Sie auch daran hindern...
Win-Win ist umso einfacher zu erreichen, wenn Sie sich immer und immer wieder die Ziele des Projektes vor Augen führen: Was will der Kunde eigentlich, wie kommen wir dahin? Welche Ziele sind weniger wichtig? Muss die ausgefeilte Hierarchie-Selbstverwaltung wirklich zum Go-Live vorhanden sein, wenn es knapp wird? Oder kann man auch für zwei Monate mit manueller Pflege leben, wenn dadurch die Anwendung rechtzeitig Nutzen bringt? Nutzt des dem Kunden wirklich, wenn die Anwendung nicht rechtzeitig kommt und man nur noch über Anwälte miteinander kommuniziert?
Sie sollten möglichst sicher sein, dass das Problem mit der Lösung dann aber auch behoben ist – schließlich möchten Sie eher nicht noch mal vorstellig werden, um weitere 10 PT zu bekommen, oder? Andererseits dürfen die Schätzungen auch keine Mond-Schätzungen sein: klar, mit 100 PT schaffen Sie das auf jeden Fall. Aber würden Sie 3.000 EUR für einen Ölwechsel bezahlen? Kosten und Nutzen müssen nachvollziehbar bleiben. 

Warum ist es zu dieser Situation gekommen?

Können Sie das sachlich darstellen? Was hätte man tun müssen? „Wir hätten früher eskalieren müssen“ wirkt oft besser als „Ihre Leute haben ja dauernd die Meinung geändert!“.
Zudem sollten Sie auf eine Management-kompatible Darstellung achten: „Also, am 1.3. hat Herr Maier bei uns morgens angerufen und mit Herrn Müller gesprochen. Danach hat nachmittags...“ Verdichten Sie auf die wesentlichen Inhalte. Manager sind ungeduldig, haben wenig Zeit und wollen vor allem: Entscheidungen treffen. Verwickelte Streitgeschichten zeigen oft nur mangelnde Distanz zum Thema und fehlende Professionalität.
Gerne werden hierzu auch Listen von Verfehlungen aufgestellt. Ich wundere mich immer wieder, dass Projekte mit Akribie und viel Arbeit derartige „Munition“ erstellen – sollten die nicht eigentlich Probleme lösen und Nutzen schaffen? Welchen Nutzen hat eine Beschuldigungsliste? Ja, ich weiß auch, dass es nicht nur gute Manager gibt, und dass man in der ein oder anderen Situation eine solche Aufstellung zumindest in der Tasche haben sollte. Meist zeigt dies aber, dass schon länger etwas nicht stimmt im Projekt: Kommunikation, Kalkulation, Risikomanagement, Zielvorgaben? Hätten Sie das dann als Projektleiter nicht längst klären sollen?

Bereiten Sie sich auch mental vor!

Wenn Sie unter Hochdruck im Besprechungsraum eintreffen – hilft das bei der entspannten Lösung? Zum Beispiel beginnen solche Gespräche auch gerne mal mit Smalltalk, um eine menschliche Basis zu schaffen. Schließlich repräsentieren wir alle nicht verfeindete Sekten, sondern Firmen und Organisationen. Und wir arbeiten eher, um zu leben, und nicht als einziger Lebensinhalt!

Bleiben Sie also gelassen: so mancher Kunde hat schon viel schlimmere Gespräche mit seinen Dienstleistern geführt! Versuchen Sie sich durchaus, mal von dem Schuldempfinden des engagierten Projektleiters freizusprechen! Letztlich gehen Dinge einfach auch mal schief. Gerade in den agilen Verfahren versucht man intensiv, aus Fehlern und auch aus Erfolgen zu lernen – nichts ist auf Dauer wirkungsvoller, da Mitarbeiter und Kunden rational mit ihren Erfahrungen umgehen können. Denn die meisten Projektmitarbeiter, die ich kennengelernt habe, identifizieren sich sehr mit ihrer Arbeit und wollen sie so gut wie möglich erledigen.

Begegnen Sie dem Löwen auf Augenhöhe!

Will sagen: der auf der anderen Seite ist auch nur ein Mensch. Stellen Sie eine Kommunikationsbasis her. Sprechen Sie ruhig, auch wenn sich jemand mal aufregt! Beruhigen Sie Kollegen, die emotional werden. Sie glauben gar nicht, wie viele Manager künstliches Aufregen sehr gut beherrschen. Und versuchen Sie, den anderen ausreden zu lassen.
Visualisieren Sie – wenn es irgendwie geht – und betonen Sie Gemeinsamkeiten.
Zudem empfehle ich das Harvard-Konzept, es sei denn, Sie haben schon mehr als zehn Jahre Erfahrung im Einkauf oder Verkauf hinter sich.

Ein Kollege, der mich rhetorisch sehr beeindruckte, hatte die Angewohnheit, nach Antworten der Gesprächspartner erst mal zu schweigen und nachzudenken. Absichtliche Spitzen, rhetorische Fallen und Aufgeregtheiten liefen so ins Leere. Ich gestehe aber, dass ich an dieser Fähigkeit noch arbeiten muss...

PS: das eingangs erwähnte Projekt wurde zu einem der erfolgreichsten meiner Laufbahn.

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